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Streit um Entscheidungen des MDK nimmt zu

SoVD berät mehr Mitglieder zu Pflegegutachten

Die persönliche Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) ist wegen der Corona-Pandemie weiterhin ausgesetzt. Die Feststellung des Pflegebedarfs wird nach Aktenlage oder auf Grundlage eines Telefongesprächs entscheiden. Das führt offenbar häufig zu problematischen Beurteilungen, wie der Sozialverband Deutschland (SoVD) im Emsland aufgrund der Zunahmen an Beratungen von Betroffenen feststellt.

Wenn Thomas Bengelstorf an das letzte Telefongespräch mit dem MDK zurückdenkt, ist der Papenburger noch immer wütend. „Ich habe die Einstufung in den Pflegegrad 2 beantragt, weil sich mein Gesundheitszustand in den letzten Monaten verschlechtert hat“, berichtet der Rentner. Schon im April 2020 stellte er deswegen einen Antrag bei der zuständigen Pflegekasse. „Ich schaffe kaum noch etwas alleine, meine Frau muss mir bei vielen Dingen helfen“, sagt Bengelstorf, der wegen einer Verengung des Spinalkanals an der Wirbelsäule unter starken Schmerzen leidet und Herzprobleme hat. Hinzu kommen Schlafstörungen und auch eine psychische Beeinträchtigung. „Ich muss etwa 20 Tabletten am Tag nehmen“, sagt Bengelstorf.

Doch der Pflegegrad 2, den Bengelstorf eigentlich wollte, wurde nicht genehmigt. Der MDK sah nach einer telefonischen Begutachtung dazu keine Veranlassung. Es erfolgte lediglich die Einstufung in den Pflegegrad 1. Verstehen kann Bengelstorf das nicht. „Ich habe alle meine gesundheitlichen Probleme ausführlich geschildert, aber nichts davon spiegelt sich in der Beurteilung wider“, sagt er. Auch die Art der Befragung findet Bengelstorf nicht in Ordnung. Von April bis November habe es drei Telefonate gegeben. Jedes Mal habe er mit einer anderen Person gesprochen. „Alles wurde 1000 Mal hinterfragt. Dabei hat der MDK doch die Gutachten der Ärzte vorliegen“, so Bengelstorf. Ihm seien die vielen Fragen am Ende auf die Nerven gegangen, dabei sei er eigentlich ein geduldiger Mensch. Er führt den ablehnenden Bescheid darauf zurück, dass die Beurteilung seines Gesundheitszustandes nur über das Telefon stattgefunden hat. „Vor Ort hätte man sicher festgestellt, dass ich verstärkt auf Hilfe angewiesen bin“, zeigt sich der Rentner überzeugt.

Ähnliche Erfahrungen mit dem MDK hat auch Familie Franke (Name wurde auf Wunsch der Betroffenen geändert) aus Haren gemacht. Margreth Franke ist wegen einer genetisch bedingten Muskelerkrankung seit dem Jahr 2010 pflegebedürftig. Seit 2016 hat Franke den Pflegegrad 3. Trotz einer Reha verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand im vergangenen Jahr drastisch. Da Margreth Franke nun einen höheren Pflegebedarf hat, beantragte die Familie, dass sie von Pflegegrad 3 in den Pflegegrad 4 hochgestuft wird. Auch dies genehmigte die Pflegekasse wegen eines MDK-Gutachtens nicht. „Meine Mutter ist seit längerem auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen und braucht bei allen alltäglichen Dingen Hilfe“, berichtet Margreth Frankes Tochter Monika Franke. „Mit dem ablehnenden Bescheid sind wir nicht einverstanden“, sagt Franke.

Wie Bengelstorf kritisiert auch sie, wie die telefonische Begutachtung abgelaufen ist. „Meine Eltern hatten während des Gesprächs den Eindruck, dass der MDK-Mitarbeiter überhaupt nicht vorbereitet war. Das gesamte Gespräch ist völlig unstrukturiert abgelaufen“, so die besorgte Tochter. Zudem habe der MDK-Mitarbeiter das Gespräch mit einem Verweis auf bestehenden Zeitdruck sehr abrupt beendet, obwohl es von Seiten der Frankes noch offene Fragen gegeben hätte. So sei im Gutachten ein Bild vom Margreth Frankes Gesundheitszustand entstanden, das nicht der Realität entspreche. Daneben habe der Gutachter auf Rückfragen unhöflich und abweisend reagiert. „Meine Eltern waren nach dem Gespräch völlig fertig“, so Franke.

Eingeschüchtert vom Vorgehen des Mitarbeiters wollte das Ehepaar Franke daher eigentlich nicht mehr in eine Auseinandersetzung mit dem MDK gehen. Doch Monika Franke möchte sich dieses Vorgehen nicht gefallen lassen. Sie wendete sich an das SoVD-Beratungszentrum Meppen und legte als Betreuungsbevollmächtigte ihrer Mutter Widerspruch ein. Auch Thomas Bengelstorf ist zum SoVD gegangen und hat sich nach Möglichkeiten erkundigt, um seine Ansprüche gegenüber der Pflegekasse durchzusetzen. 

Obwohl im Regelfall die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit funktioniere, gebe es immer wieder unterschiedliche Auffassung zwischen den Antragstellern und den Gutachern bei der Einstufung in die Pflegegrade, sagt Rechtsanwältin und Sozialberaterin Angelika Kleymann vom SoVD-Beratungszentrum Aschendorf. „Hierzu beraten wir recht häufig“, so Kleymann. Kleymann und auch Rechtsanwalt Pierre Knäuper aus dem Beratungszentrum Meppen stimmen überein, dass in der Corona-Pandemie die Beschwerden über MDK-Gutachten zugenommen haben. Als Grund nennen auch sie die fehlenden persönlichen Begutachtungen vor Ort. „Der Versuch, das Infektionsrisiko für Betroffene zu verringern, ist zwar zu begrüßen“, sagt Knäuper. Trotzdem sei es in vielen Fällen problematisch, wenn die Einstufung in einen Pflegegrad nur nach Aktenlage oder über ein Telefongespräch erfolge. „Die Erfahrung zeigt, dass es zu Missverständnissen oder problematischen Beurteilungen kommt, wenn der Gutachter sich nicht persönlich ein Bild von der gesundheitlichen Situation machen kann“, sagt der SoVD-Berater. Er rät dazu, in diesen Fällen die Beurteilung nicht einfach hinzunehmen. Hilfe gebe es in den SoVD-Beratungszentren im Emsland. „Wir erheben Widerspruch und erörtern die weiteren Schritte mit den Betroffenen“, so Knäuper.

Zur Sache:

Wenn es um die Bewilligung eines Pflegegrades geht, wird der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen (MDK) von den Pflegeversicherungen beauftragt, eine Beurteilung der gesundheitlichen Beeinträchtigung einer pflegebedürftigen Person vorzunehmen. Durch qualifizierte Mitarbeiter wird bewertet, ob und in welchem Umfang eine Pflegebedürftigkeit besteht. Pflegeleistungen, die zuvor bei der Pflegeversicherung beantragt werden müssen, werden dann über Einstufungen in insgesamt fünf Pflegegrade bewilligt. In der Corona-Pandemie entscheidet der MDK nur noch nach Aktenlage oder über ein Telefoninterview. Diese Maßnahme dient dem Schutz der Betroffenen und der Gutachter. Sie wurde bis zum 30. Juni 2021 verlängert. Der SoVD-Landesverband Niedersachsen kritisiert, dass dadurch eine große Verunsicherung bei den Betroffenen entsteht und bestimmte Punkte nicht richtig eingeschätzt und berücksichtigt werden. Der Sozialverband macht dies an der starken Zunahme der Beratungsfälle in diesem Bereich fest.

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