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Rollstuhlfahrerin fordert mehr Respekt

Unerwünschte Berührungen und übertriebenes Mitleid

Mira Kröger (der Name wurde geändert) ist wegen einer Erkrankung auf einen Rollstuhl angewiesen. Oft wird die Emsländerin beim Einkaufen oder beim Ausgehen mit Freunden von Fremden auf ihre Behinderung angesprochen und dabei an der Schulter berührt oder am Kopf getätschelt. Diese vermeintlich gutgemeinten Gesten mag die junge Frau überhaupt nicht und fordert ein respektvolles Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderungen.

Wenn Mira Kröger in ihrem Heimatort im Emsland einkaufen geht, ein Fest besucht oder mit Freunden ausgeht, begleitet sie stets ein ungutes Gefühl. „Meistens dauert es nicht lange und es kommt jemand auf mich zu und will ein Gespräch beginnen“, so Kröger. Die junge Frau findet das eigentlich nicht schlimm, doch sie wird häufig schon im ersten Satz auf ihre Behinderung angesprochen, muss sich Ratschläge anhören. Dann folgt nicht selten das, was Kröger richtig ärgert. „Die Hand wird ausgestreckt und ich werde am Kopf, am Arm oder der Schulter berührt“, berichtet sie. Als vertrauliche Geste sei das Berühren der Schulter oder des Arms bei Verwandten, Freunden, Bekannten oder Nachbarn völlig in Ordnung. Bei Fremden gehöre sich das nicht, findet Kröger. „Wer geht schon durch die Stadt, spricht wildfremde Personen an und streichelt über deren Köpfe“, fragt sie sich. Zumeist seien es ältere Frauen, die ihr mit den Berührungen offenbar Mitgefühl signalisieren wollten. Dass sie so behandelt wird, führt Kröger darauf zurück, dass sie im Rollstuhl sitzt und etwas jünger aussieht, als sie tatsächlich ist. Doch weder ihre Behinderung noch ihr Aussehen seien ein Grund für den distanzlosen Umgang mit ihrer Person. Verständnis hat sie nicht. „Ich finde das einfach nur respektlos“, sagt sie. 

War ihr dieses Verhalten einiger Mitmenschen schon vor der Corona-Krise sehr unangenehm, so hat sich das Unbehagen wegen der unerwünschten Berührungen mit Ausbruch der Pandemie noch deutlich verschärft. „Obwohl die Menschen sonst Distanz zueinander halten, scheint das für mich nicht zu gelten. Ich werde nach wie vor angefasst“, sagt Kröger.

Wenn die Emsländerin dann unwirsch reagiert und mit dem Rollstuhl zurücksetzt, sobald sie die ausgestreckte Hand bemerkt, erntet sie verständnislose oder erschrockene Blicke. Sätze wie: „Ich habe das nicht böse gemeint“ oder „Da muss man sich nicht so anstellen“ hört sie dann, wenn sie deutlich macht, dass das vermeintlich gutgemeinte Kopftätscheln unerwünscht ist. Kröger erklärt aber auch, dass sich nicht jeder in ihrem emsländischen Heimatort so verhält. Die meisten Menschen sind hilfsbereit und benehmen sich ihr gegenüber angemessen. „Wenn mir jemand anbietet, etwas aus einem hohen Regal anzureichen, mir die Tür aufhält oder wenn jemand die Einkäufe zum Auto tragen möchte, freut mich das natürlich. Das ist die Art von Hilfe, die ich gerne annehme“, so Kröger. Kröger wünscht sich, dass in Zukunft weniger auf die Tatsache geschaut wird, dass sie im Rollstuhl sitzt und ihr ganz selbstverständlich der Respekt entgegengebracht wird, der jedem Menschen zusteht.

Dass es durchaus Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit Behinderungen gibt, bestätigt auch Bernhard Sackarendt, Vorsitzender des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) im Emsland. „Frau Kröger hat dem SoVD in der Sozialberatung davon berichtet. Wir hören zudem von anderen Seiten immer wieder, dass es an der einen oder anderen Stelle im alltäglichen Umgang an Respekt mangelt“, so Sackarendt. Sackarendt empfiehlt die Grundregel, dass zunächst der Mensch und nicht dessen körperlichen oder kognitiven Einschränkungen gesehen werden sollte. „Jedem ist mit demselben Respekt zu begegnen“, so Sackarendt. Wer beispielsweise erwachsene Menschen mit Behinderungen grundsätzlich mit Du anspreche, mache etwas falsch. Vermeintlich gutgemeinte Berührungen von Fremden seien aus diesem Grund ebenfalls nicht angemessen. Wenn jemand offenkundig Hilfe benötige, könne diese aber angeboten werden. „Auch das würden wir bei jedem Menschen so handhaben“, so Sackarendt.

Wer sich trotzdem unsicher ist, kann auf der Internetseite des Sozialverbandes Emsland unter www.sovd-emsland.de einen Knigge herunterladen, der vom Paritätischen Wohlfahrtsverband herausgegeben wurde, bei dem der SoVD Mitglied ist. Hier sind zehn allgemeine Verhaltensregeln für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen aufgeführt, die als Leitfaden für ein respektvolles Miteinander dienen.

Einen Knigge zum angemessenen Umgang mit Menschen mit Behinderungen finden Sie hier.